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Krankschreibung im Arbeitsrecht - Fachanwalt für Arbeitsrecht Heiko Hecht im Interview mit Stern


25.08.2017

Die Krankheitstage auf der Arbeit häufen sich. Darf der Chef eine Abmahnung schicken? Und ist es legitim, wenn er ab dem ersten Tag eine Krankschreibung fordert? Heiko Hecht, Rechtsanwalt für Arbeitsrecht, klärt über die wichtigsten Fragen im Krankheitsfall auf - und warnt vor Fallstricken.

Autorin: Ilona Kroesl, Redakteurin für Wissenschaft und Gesundheit @stern.de. >> Zur Autorenseite

 

Ich liege flach, habe Fieber und Schüttelfrost. Muss ich mich gleich am ersten Tag zum Arzt schleppen und krankschreiben lassen, wenn der Chef das wünscht?

Ja, diese Forderung ist zulässig und Ergebnis der aktuellen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts. Wenn der Arbeitgeber die Krankschreibung ab dem ersten Tag einfordert, muss der Arbeitnehmer dem Folge leisten – auch wenn das so nicht ausdrücklich im Arbeitsvertrag vermerkt ist.

Wie viel Frist habe ich, die Krankschreibung beim Arbeitgeber einzureichen?

Das hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Wer sich das Bein gebrochen hat, dürfte keine Probleme bekommen, wenn er den Arbeitgeber zunächst telefonisch informiert und die Krankschreibung zu einem späteren Zeitpunkt nachreicht. Durch neue technische Möglichkeiten stellt sich dieses Problem meist aber nicht: Will der Arbeitgeber die Krankschreibung schon am ersten Tag vorliegen haben, lässt sich diese beispielsweise einscannen und via Smartphone oder Mail verschicken.

Darf mich mein Chef für Termine ins Büro holen, obwohl ich krankgeschrieben bin?

Das ist ein klassischer Streitfall. Grundsätzlich gilt: Der Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ist unerschütterlich. Das müssen Arbeitgeber in der Regel akzeptieren. Nur in Einzelfällen kann der Beweiswert des ärztlichen Attestes durch den Medizinischen Dienst der Krankenkassen (MDK) erschüttert werden - zum Beispiel wenn der Krankgeschriebene intensiv Sport treibt und öffentlich an einem Marathonlauf teilnimmt. Allerdings ist Krankheit nicht automatisch mit vollständiger Arbeitsunfähigkeit gleichzusetzen. Einzelne Fälle müssen notfalls mit Anwälten geklärt werden. Aktuell arbeiten wir zum Beispiel an einem Fall, in dem der Arbeitnehmer gekündigt hat, krankgeschrieben ist, aber noch eine Übergabe für seinen Nachfolger machen soll. Allerdings beruft er sich auf seine Krankschreibung. Im Regelfall muss der Arbeitgeber das dann akzeptieren.

Mein gut gemeinter Rat: Machen Sie das Smartphone aus, wenn sie krankgeschrieben sind. Sie sollen sich während der Krankschreibung erholen und wieder gesund werden. Das ist insbesondere bei Krankheitsbildern wichtig, die mit Belastungen im Beruf zu tun haben – wie Burnout.

Darf ich zur Arbeit gehen, obwohl ich krankgeschrieben bin?

Sie dürfen, ja. Allerdings ist das aus verschiedenen Gründen kritisch zu sehen: Haben Sie auf dem Weg zur Arbeit beispielsweise einen Unfall, könnte das zu Problemen mit der Versicherung und der Berufsgenossenschaft führen. Sind Sie bereits in der sechsten Krankheitswoche und erhalten die Entgeltfortzahlung der Krankenkasse, könnte auch das Probleme bereiten, wenn Sie trotz Krankschreibung zur Arbeit erscheinen. Eine Streichung der Zahlungen ist zwar nicht zu erwarten. Allerdings bekommen Sie das Krankengeld als Kompensation für den Wegfall eines Verdienstes im Fall einer Krankheit. Das wäre dann ja nicht der Fall, da der Arbeitgeber dann auch Gehalt zahlen könnte. Es handelt sich dabei eher um ein Problem zwischen Arbeitgeber und Krankenversicherung.
Behördenmitarbeiter am häufigsten krank: In diesen Branchen gibt es die meisten Krankschreibungen
In der Land- und Forstwirtschaft meldeten sich die Beschäftigten am seltensten krank - im Schnitt nur 0,72 Krankschreibungen im Jahr. Aber wenn es sie doch mal traf, dann richtig: 14,6 Fehltage je Krankheitsfall sind Rekord. Der Grund dürfte die erhöhte Gefahr von Arbeitsunfällen sein.

Darf mich mein Chef nach Hause schicken, wenn ich mich krank zur Arbeit schleppe?

Ja, definitiv! Er sollte das sogar, um seiner Fürsorgepflicht nachzukommen. Das ist eine wesentliche Pflicht des Arbeitgebers gegenüber dem Arbeitnehmer.

Darf mich mein Chef abmahnen, wenn ich zu oft krank bin?

Nein, das ist nicht möglich. Allerdings gibt es eine krankheitsbedingte Kündigung. Dafür bedarf es aber einer sogenannten negativen Gesundheitsprognose. Das bedeutet: Es müssen Umstände vorliegen, die auf eine Arbeitsunfähigkeit auf nicht absehbare Zeit schließen lassen. Eine krankheitsbedingte Kündigung kann wirksam sein, wenn

  • Sie länger als zwei Jahre durchgängig krankgemeldet sind und es eine negative Gesundheitsprognose gibt.
  •  Sie regelmäßig kurz erkrankt sind und aufgrund des Entgeltfortzahlungsgesetzes weiter Lohn gezahlt bekommen, da Sie wechselnde Krankheitsbilder haben. Arbeitgeber führen dann oft liebevolle Listen mit dem Schaden durch Entgeltfortzahlung an. In einem Fall in unserer Kanzlei war einem namhaften Unternehmen im Hamburger Hafen ein Schaden von 170.000 Euro in fünf Jahren entstanden. Auch dann kann eine krankheitsbedingte Kündigung wirksam sein.

Brauche ich eine Bestätigung vom Arzt, wenn mein Kind krank ist und ich zu Hause bleiben muss?

Nein, das ärztliche Attest für das Kind reicht in der Regel aus.

In den USA sorgt derzeit ein besonderer Fall für Furore: Eine Arbeitnehmerin hat sich zwei Tage krank gemeldet, um sich um ihre psychische Gesundheit zu kümmern. Später twitterte sie darüber. Für ihr Gesundheitsbewusstsein gab es viel Lob – auch von ihrem Arbeitgeber. Ist so etwas üblich?

Ein Arbeitnehmer kann sich nicht selbst für krank erklären. Dafür gibt es Ärzte. Ich rate deshalb dringend davon ab. Das eigenmächtige Fernbleiben vom Arbeitsplatz kann zu größten Schwierigkeiten führen – das reicht von Abmahnungen bis hin zu einer Kündigung.

Darf ich während der Arbeitszeit einen Arzttermin wahrnehmen?

Wer krank ist, darf zum Arzt – auch während der Arbeitszeit. Gleiches gilt für arbeitsmedizinische Untersuchungen. Sie zählen zur Arbeitszeit. Anders sieht es bei Routinekontrollen aus: Wer beispielsweise seinen Allgemeinzustand checken lassen möchte oder eine Zahnreinigung vornehmen lässt, tut das aus privatem Interesse. Ich rate dringend, diese Termine im Urlaub oder in den Feierabendstunden zu machen – auch, um den Frieden am Arbeitsplatz und unter Kollegen zu wahren.

Das Interview wurde mit Ilona Kriesl von stern.de geführt. >> Zum Originalartikel

 
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